Es ist schön in Böhmen und Mähren, vor allem die Landschaft, die klaren Seen und die dunklen Wälder. Doch noch schöner sind die bunten Reklameleuchten für die zahlreichen Biererzeuger des Landes, die die Häuserfassaden säumen. Die Tschechen haben nämlich schon vor geraumer Zeit erkannt, wie man den Kunden visuell an sich binden kann. Es stellt sich hier geradezu ein pawlowscher Reflex ein, wenn man durch ein böhmisches Dorf flaniert und eines dieser Schilder entdeckt – Schilder, auf denen sich nicht nur fürstliche Wappen befinden, sondern auch allerlei durstgeplagte Herrschaften, mythologische Figuren mit übergroßen Bierkrügen und Tiere, denen der langjährige Alkoholkonsum ins Gesicht geschrieben steht. Und alle scheinen sie zu rufen:
“Tritt ein, hier kannst du Mensch sein!”
Nach einer kurzen Abwägung, deren Ausgang man eigentlich schon vorher kennt, findet man sich in einem schlichten, meist etwas verkitscht dekorierten Raum wieder. Schwere Tischdecken bedecken Sprelacart-Oberflächen. Das weißlich-grelle Neonlicht über der Theke vermittelt ein Gefühl von Geborgenheit. Der Däne sagt dazu wohl hygge. Was der Tscheche dazu sagt, wissen wir nicht. Der Tscheche hält sich nicht lang bei Worten auf. Er trinkt. Ein herzhaft, klebriger Geruch von Knoblauch und Frittiertem wabert durch den Raum und an den Tischen gegenüber genießt man das Leben mit allerhand lebensverkürzenden Köstlichkeiten. Im TV, montiert an der Gaststättenwand, läuft Hockey. Es läuft eigentlich immer Hockey.
Die Entscheidung, welches Bier man nun bestellt, fällt zumeist nicht aufgrund des Bierstils, sondern der Stammwürze. Denn der heilige Plato ist nicht nur in Pivnic (Bierstuben) omnipräsent, sondern überall dort, wo Bier über die Theke wandert. Und das umfasst buchstäblich die gesamte tschechische Gastronomie. Wenn man also am Abend noch etwas vor hat, sollte man eher fünf schmächtige 10° als fünf ausgewachsene 12° Pivo verhaften.
Bei der Begutachtung des Bestellten wird dem erfahrenen Biertrinker auffallen, dass die Tschechen sehr viel Wert auf das Verhältnis von Bier zu Glas legen. Selbst dickwandige, leicht untersetzte Gläser fügen sich fast unbemerkt in den Trinkprozess ein und fungieren nicht nur als seelenlose Behältnisse, sondern sind sakralisierende Refugien des Allerheiligsten, monstranzgleich – eine Eigenschaft, die vielen Gläsern in Deutschland abhandengekommen ist.
Bier ist zwischen Erzgebirge und den Westbeskiden fast immer und überall gesellschaftsfähig, mancherorts oder zu mancher Zeit gar verpflichtend. Die Reinheit ihres Ambrosias ist den Tschechen oberstes Gebot, eine Art Religion – die zahlreichen Kneipen so etwas wie ihre Kapellen. Bier und besonders Fassbier ist eben heilig! Und so ist es wenig verwunderlich, dass hier wohl das beste* Bier der Welt durch die Hähne rinnt. Ob es durch seine Karbonisierung, seinen Brauprozess oder die Patina in der Zapfanlage so besonders wird, ist bis heute nicht geklärt. Das Geheimnis dieses samtig weichen Geschmacks wird den Unwissenden wohl für immer verwehrt bleiben.
Ich habe mich damit abgefunden, nehme den letzten Schluck aus meinem Glas und rufe der Bedienung ein freundliches ještě jednou, prosím zu.
*Achtung, Triggerwarnung
[text & foto: ck]